6.2. - 2.3.2014
Ausstellung, Galerie

Margot Pilz

Once upon my time - Java 1942

1939. Ich bin fast drei Jahre alt. Ich bin Holländerin und fahre mit meinen Eltern per Schiff nach Niederländisch-Indien. Unser Ziel: die Stadt Semarang auf Java, Indonesien. Wir wollen in den Kolonien ein besseres Leben beginnen. Und vor den Nazis flüchten. Es geht uns gut, sehr gut. Ja, wir hören vom Krieg in Europa, aber der ist weit weg.

März 1942: Invasion der Japaner auf Java. Sie sind Verbündete des Deutschen Reiches und erobern mühelos die indonesische Inselwelt. Mein Vater wird nach Sumatra deportiert, in ein Konzentrationslager. Meine Mutter und ich flüchten zu Freunden in die Berge.

Mutter wird von der japanischen Gestapo, der Kempetai, verhaftet. Als gebürtige Österreicherin wird sie aufgefordert, das Hakenkreuz zu tragen. Sie weigert sich und kommt nach drei Tagen Einzelhaft mit Ratten und Kakerlaken in ein KZ. Die Freunde suchen sie. Mit einem Ochsenkarren fahren wir herum. In Lampersari finden wir sie. Was für ein Wiedersehen! Jetzt bin auch ich hinter Stacheldraht, im KZ.

Wir essen eine Hand voll Reis am Tag, oder Sojaschleim mit Würmern. Zuwenig für die Kinder. Ich frage meine Mutter: Warum bin ich so müde und schlafe ein? Antwort: Weil du Hunger hast. Sie gibt mir den Teelöffel Zucker, den wir einmal die Woche bekommen. Ein Fest! 

In den Großraumduschen betrachte ich neugierig die Frauen. Sie haben so viel Gewicht verloren, dass sie ihre Brusthäute und Bauchschürzen anheben müssen, um sich darunter zu waschen. Wir sind neun in einem winzigen Zimmer, sieben Frauen und zwei Kinder. Der Boden besteht aus gestampfter Erde. Bretter und Kisten sind unser Lager. Unsere Mitbewohner: Kakerlaken, Skorpione, Schlangen und Vogelspinnen. Morgens schütteln wir unsere Kleider aus.

Das Lager hat 8.000 Insassen. Meine Mutter ist Straßenaufseherin, ich darf mittags mit einer Glocke durch unsere Straße gehen und schreien: Lampersari A – Essen holen. Darauf bin ich sehr stolz. Wir werden ständig kontrolliert – und bestraft. Einmal findet man bei einer Frau einen Föhn. Man reißt ihr die Kleider vom Leib und schlägt sie mit einer langen Peitsche – schmerzhaft und blutig.

Wenn die Japaner patrouillieren, müssen wir uns alle Richtung Kaiser verbeugen und einen Gruß auf japanisch aufsagen. Eine Nachbarin kann nicht aufstehen, sie ist zu schwach. Sie wird brutal zusammen geschlagen und in eine winzige Rumpelkammer gesperrt, ohne Essen und Trinken. Nachts bohren wir ein Loch durch die Wand, stecken ein Bambusrohr hindurch und füttern sie mit flüssigem Brei. Sie überlebt!

Die schlimmste der Strafen ist der „Galgenberg“. Acht Stunden lang knieen, ein junges Bambusrohr in den Kniekehlen, und in die Sonne schauen. Die Härchen vom Bambus wachsen in die Haut und lähmen für immer, die Sonne macht blind.Oft sehe ich abends offene Lastwägen voller gekrümmte Leiber aus dem Tor fahren.

Wir haben ein Radio. Zerlegt in Einzelteile tragen wir es mit uns herum, nachts bauen wir es zusammen. Ich bekomme eine Leistenentzündung. Eines meiner Beine bleibt um zehn Zentimeter kürzer. Da werde ich „Ente“ gerufen. 

Knikkeren: So heißt das Murmelspiel auf holländisch. Im Lager haben wir natürlich keine Glaskugeln, sondern runde Steine. Aber ich liebe dieses Spiel. Sie schließen mich aus. Wegen meiner Behinderung.

Ich muss arbeiten. Stundenlang am Boden sitzend, stampfe ich Reis in einem Mörser aus Stein. Eine Typhus-Epidemie bricht aus. Die Kanalisation ist verstopft. Wir sollen den Schaden beheben. Prostituierte melden sich zu dieser lebensgefährlichen Arbeit mit Händen und Füssen in der Scheiße. Sie beseitigen den Dreck.

Meine Mutter hat zweimal Typhus. Ich wasche sie und ihre Leintücher mit kaltem Wasser. Die Leintücher waren für meine kurzen Arme eine Herausforderung. Morgenappell: Sachen packen, Lagerwechsel. Wir marschieren 14 Stunden bis zum nächsten KZ. Gepäck haben wir kaum noch, trotzdem überstehen es viele nicht. Wir sind angekommen. Erschöpft fallen wir in die Bretter-Stockbetten. Plopp, Plopp, Plopp. Es ist das Geräusch herab fallender Wanzen. Ein Inferno.

August 1945: Der Krieg ist vorbei. Holländische Flugzeuge fliegen über unser KZ. Wir werden immer noch festgehalten, aber wir dürfen unsere bescheidene Habe mit der einheimischen Bevölkerung austauschen. Natürlich gegen Essen. Ich habe noch ein paar Puppenkleider. Die tausche ich gegen ein Kücken. Dieses Huhn wird mich noch lange begleiten.

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