7.6.2022, 20:00
Veranstaltung, Stadtkino im Künstlerhaus

FREIES KINO - EINTRITT FREI

Michaela Grill: It's a wild world

Wir widmen diese Personale des FREIEN KINOS der österreichischen Künstlerin Michaela Grill, die in Montréal (Ca) und Wien lebt und arbeitet.

1971 geboren, studierte Michaela Grill in Wien, Glasgow und London. Für ihre Film- und Videoarbeiten, Installationen, Live-Visuals und Performances erhielt sie zahlreiche Nominierungen und Preise, darunter den Outstanding Artist Award für Film des österreichischen Bundesministeriums für Kunst und Kultur und den Preis für Innovativen Film der Diagonale. Ihre Filme wurden auf zahlreichen internationalen Festivals und ihre Performances und Screenings u.a. im MOMA NY, National Gallery of Art Washington, Centre Pompidou Paris, Museo Reina Sofia Madrid, La Casa Encendida Barcelona, ICA London und vielen Kinematheken präsentiert.

In diesem Filmprogramm ist der Fokus auf die unterschiedliche Wahrnehmung und Darstellung von Natur und Landschaft gerichtet. Ein Schwerpunkt, der sich neben der Beziehung von Bewegtbild und Sound, sowie die Auseinandersetzung mit dem Medium Film, wie ein roter Faden durch ihre Arbeit zieht.

FORÊT D’EXPÉRIMENTATION
Österreich, Kanada | 2012 | 22 min

"FORÊT D’EXPÉRIMENTATION" – der Name eines Ortes, ein Titel und eine Absichtserklärung. Der erste Schritt in diesen Wald stellt sich als schwarzweißer Schattenriss dar, Äste vor dem Hintergrund der Wolken, die rasch über den Himmel ziehen, dazu ein modulierender Sound, der Naturgeräusche aufnimmt und weiterspinnt. Ein Bild, das in seiner ästhetischen Überhöhung bekannte Referenzen der Landschaftsmalerei oder -fotografie ebenso wie des Genrekinos aufnimmt.
Doch schon dringt man weiter in den Wald ein, das visuelle und tonale Register ändert sich, der Blick nähert sich immer mehr den vorzivilisatorischen Elementen der Landschaft, der Vegetation, dem Wasser, dem Getier. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf Details, den Rhythmus, auf subtile oder auch überraschende Veränderungen und Bewegungen. Das Enigmatische der Natur rückt in den Vordergrund und man ist gefangen von der formalen Schönheit, von Bildern, die in ihrer visuellen Verfremdung und dem Spiel mit unterschiedlichen Größenverhältnissen erst entschlüsselt werden müssen.
Im Modus einer faszinierten und gleichzeitig forschenden Wahrnehmung wird die Grenze zwischen Natur und Landschaft, tradierten Darstellungsformen und dem spielerischen Experiment, dem Abstrakten und dem Figurativen verhandelt. Aus der Bearbeitung eines bekannten visuellen und tonalen Alphabets entsteht so eine ganz eigene, eigenwillige filmische Erfahrung.
Der Blick bleibt in Bewegung, ständig gibt es etwas Neues zu sehen, zu hören, zu entdecken. Am Ende schließt sich der Kreis mit einer Ansicht, die wieder einem klassischen Gemälde oder einem Spielfilm entlehnt sein könnte. Unterschiedliche Ebenen der Wahrnehmung überlagern sich, durchdringen und beeinflussen einander. Das Experiment liegt in der Suche nach einer Form der Darstellung und auch der Anschauung – von der Landschaft zur Natur und wieder zurück. (Barbara Pichler)

carte noire
Österreich, Kanada | 2014 | 2:30 min

Es blitzt Weiß ins Nachtschwarz. Wie herausgeritzt, wie hingetupft. Flackernde Schemen, Geistervisionen. Ein veritabler "phantom ride", ein Spannungsfilm.
Mit ihrer sinistren Roadmovie-Miniatur "carte noire" setzt Michaela Grill ihre filmische Bewegung von der Abstraktion zur Verfremdung des Gegenständlichen fort und ist nunmehr bei einem klassischen, hoch aufgeladenen Motiv der Populärkultur und auch des Kinos angelangt: der einsamen Autofahrt auf einer leeren Straße über Land, welche mehr oder weniger automatisch und genreübergreifend Assoziationen freisetzt. Nicht erst am überraschenden Ende darf man annehmen, dass hier unter anderem auf den "lost highway", frei nach David Lynch, angespielt wird.
Die zugrundeliegende Aufnahme ist eine Subjektive geradeaus, mit Blick auf das Asphaltstraßenband samt Mittelstreifen, das hinter einer Hügelkuppe zunächst verschwindet, um dann wieder aufzutauchen und auf die nächste Anhöhe zu führen. An den Seiten meint man, karge Steppenlandschaft zu sehen, am Horizont ein sanft ansteigendes Gebirge. Denn die digitale Bearbeitung macht daraus ein Negativbild in flackerndem Schwarzweiß, wie Ölkreide auf dunklem Karton, ein von Andreas Berger mit flirrendem Unheimlichkeitssound bestücktes, knapp zweieinhalbminütiges Fragment einer nächtlichen Fahrt auf unsicherem Gelände: Der Asphalt vibriert, und der Horizont erhellt sich. Der Motor röchelt, und die Sicht verschwimmt. Ein imaginärer Trip. Film noir. "carte noire". Wir sind, frei nach David Byrne, unterwegs auf einer Straße nach Nirgendwo. Das Käuzchen wartet schon. (Isabella Reicher)

Antarctic Traces
Österreich, Kanada | 2019 | 30 min
Sich dem Geheimnisvollen, Unzugänglichen über die wenigen Spuren nähern, die aktuell davon verfügbar sind. Zugleich das Desolate und Verheerende einkreisen, das der Mensch in seinem Umgang damit hinterlassen hat. Dieser doppelten Aufgabe widmet sich Michaela Grill in "Antarctic Traces", einer famos durchkomponierten Studie über den mysteriösesten aller Kontinente bzw. die davon zugänglichen Supplemente. Da ist zum einen die schroffe Küstenlandschaft von Südgeorgien, jener der Antarktis vorgelagerten Inselgruppe, die Grill in grandiosen, meist unbewegten Kadern ins Visier nimmt. Da sind zum anderen (überwiegend schwarzweiße) Archivbilder, in denen der thematische Fokus des Films, die Geschichte des Walfangs seit dem späten 19. Jahrhundert, historisch verankert liegt. Und da ist ein aus zahlreichen literarischen Quellen kunstvoll gewobenes Narrativ, das – aus dem Off gesprochen und mit subtilem Sound-Einsatz verflochten – diese höchst erbärmliche Episode menschlicher Naturausbeutung präsent werden lässt: die bis in die 1970er-Jahre anhaltende industrielle Abschlachtung von Robben, See-Elefanten und vor allem Walen, die in den Gewässern des Südatlantiks ihren brutalen Lauf nahm. In abwechslungsreicher Rhythmik aus Standbildern, Zeitlupen, minimalen Bewegtbildern und vereinzelten Kamerafahrten entfaltet "Antarctic Traces" das mosaikhafte Tableau einer "dead, chilly world": Gletscher, Skelette, Industrieruinen und verrostete Schiffe künden von der kompromisslosen Profitgier der "whaling industry". Derweilen bevölkern Pinguine und Robben als nicht tot zu kriegende Renitenzlinge das landschaftlich "vernarbte" Wasteland. "Antarctic Traces" schafft insgesamt das betörende Porträt jenes tödlichen Friedens, den der Mensch in einem abgelegenen Stück Erde bzw. Wasser angerichtet hat. Spuren einer ruinösen Freiheit, die abgrundtief im Nichts wurzelt. (Christian Höller)

under the microscope
Österreich, Kanada | 2021 | 7 min

Unter den Argumenten, die für das Kino als eine Quelle wissenschaftlicher Erkenntnis vorgebracht werden, war das augenfälligste von Anfang an dieses: Film kann Bewegung nicht nur aufzeichnen, sondern macht sie vielfach überhaupt erst wahrnehmbar. Vergrößerung enthüllt Zellprozesse, Zeitraffer und Zeitlupe richten Blütensprießen und Pollenexplosion am Maß menschlicher Wahrnehmung aus. In "under the microscope" haben diese und andere berühmte Motive aus der Geschichte des Wissenschaftsfilms ihren Auftritt. Genauso oft ist aber kaum zu bestimmen, was da im Bild am Pulsen, Bersten oder Wuchern ist. Michaela Grill breitet in ihrer furiosen Remontage von Wissenschaftsfilmen aus den 1920er Jahren nicht Motivkataloge aus, sondern zielt geradewegs auf das Faszinosum dieser Aufnahmen: Ihr Wert als Bildungsgut war nie sauber zu lösen von ihrem ästhetischen Reiz als pures Kinospektakel. Diskrete Formen beginnen zu wimmeln, scheinbar Unbewegtes bricht in Choreografien aus. Vorgefundene Natur und technische Bildprozesse tanzen eng umschlungen. Grill legt diese Bildereignisse frei und beforscht ihre filmischen Valeurs: durch wechselnde Einfärbungen frei nach historischer Virage, durch Überblendung und bis zum Flickerstakkato gesteigerten Schnitt, durch rhythmische Bearbeitungen von Bildausschnitt und Bewegungstempi. In diesem Sinn lässt auch Sophie Trudeaus Tonspur das Gleichmaß von Uhrenticken in treibende Maschinenmusik übergehen. Wie sein Ausgangsmaterial läuft der Film nicht auf ornamentale Abstraktion hinaus, sondern lässt abwechselnd Gegenständliches fremd werden – und unleserliche Formen vertraut. Fotografische Referenz ist hier nicht Bestätigung von schon Gewusstem, sondern Ausgangspunkt für Erkundungen. Unter dem Mikroskop fangen die Rätsel filmischer Wahrnehmung erst an. (Joachim Schätz)

Im Anschluss Gespräch zwischen Martina Tritthart (Freies Kino) und Michaela Grill.

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