10. - 21.9.2008
Ausstellung, Obergeschoß

Lore Heuermann

Auf der Höhe der Zeit ...

Zu den Synästhesien von Lore Heuermann

Für eine Ausstellung 2003 hatte Kristian Sotriffer einen Text mit folgendem Titel in Arbeit: „Übers Kochen, Kunst, verehrte Künstlerinnen, die Macht und nette Männer. Ein Fragment“ – leider konnte diese Rückschau auf das Werk der von ihm verehrten Künstlerinnen wegen seiner schweren Erkrankung und seinem Tod nicht einmal Fragment werden. Aber es ist sicher: eine der von ihm verehrten Künstlerinnen ist Lore Heuermann. Für sie hatte er mehrere Texte verfasst, ihre Arbeiten hingen bei ihm im Arbeits- und Wohnzimmer an der Wand, sie zählte zum Diskussionskreis, den er um sich versammelte.

Lore Heuermann beschäftigt sich fast vier Jahrzehnten mit dem faszinierenden Thema der Bewegung, auch im Sinne der chinesischen Philosophie, die von einer Metamorphose der Elemente und ihrer Aggregatszustände ausgeht. Sotriffer nannte sie eine „stille künstlerische Aktivistin“ mit einer „Artikulation der Figur als etwas zu Buchstabierendes“ – andere nennen ihre Vorgangsweise doch aktionistisch, obwohl dabei nur das Denken im Umfeld der Wiener Aktionisten, der „Wiener Gruppe“ und vor allem den aktiven Protesten gegen den Abriss des Arena-Geländes in St. Marx, einem freien Wiener Kulturzentrum, in den späten Sechziger- und Siebzigerjahren eine Rolle spielte, die Umsetzung aber unterscheidet sich wesentlich.

Heuermann schreibt nicht mit ihrem ganzen Körper, sie nützt ihn nicht zur theatralischen Abreaktion oder Demonstration in Nacktheit, nicht einmal für intervenierende Handlungen, sondern sie zeichnet seit Beginn der Neunzigerjahre nach Tänzen, vorzugsweise Ausdrucks-  Tanz. Dabei hält sie sich immer im Hintergrund der Tanzperformance an einem Tisch oder auch nur Zeichenpult auf und allein die Bewegung der Hand ist ihr wesentlich, darauf richtet sie die Kamera, falls sie ihre Intervention überhaupt dokumentiert. In dieser zurückhaltenden Weise entstehen lange Bahnen von Bewegungsabläufen, die sie direkt von den auftretenden Personen auf besondere Papiere überträgt. Die eingeschriebenen Chiffren wirken von Ferne gesehen zuerst wie ein archaisches Bildalphabet, erst langsam lassen sich die Kürzel für die menschlichen Figuren lesen.

Verschiedene malerisch-grafisch gemischte Techniken werden für diese halb bewussten und halb automatistischen Zeichnungen im Sinne der Surrealisten entwickelt, nachdem sie in den Achtzigerjahren die einmalige und schwierige Technik der Glasradierung für sich entdeckte und davor mit Batiken und Malereien agierte. Sie bevorzugt als „Schreibinstrument“ die Bambusfeder mit chinesischer oder japanischer Tusche und benützt importiertes Himalaja-Papier aus Daphne- oder Loktapflanzen, das im Raum, aber auch auf Bäumen gehängt, einen besonderen Zauber mit Licht entfacht.

Außerdem ergeben sich neben Naturweiß, Schwarz und Grau auch blaue und braune Färbung, die sie dann in kontrastierendem Weiß oder Schwarz der Tusche bezeichnet.

Die Wirkung von Leichtigkeit der Werke erzeugt innerhalb von Mauern eine Art Schweben, sie hängt sie auch auf Stangen oder baut daraus zelthafte, bezeichnete Behausungen mit Lampen im Inneren. Die andere Präsentation in der Natur ist zwar keine Land-Art – korrespondiert aber mit ihr, wie die Vorgangsweise parallel zum Tanz mit dem Aktionistischen. Energetischer Bewegungsfluss und Körpersprache zeichnen die einzelnen Figuren und Figurengruppen aus, das Tanzmoment und die bewusste Bewegung sind für sie ebenso wichtig wie soziale Komponenten innerhalb der Ausführung – so arbeitet sie z.B. auch mit Behinderten.

Die 1937 in Münster / Westfalen geborene Künstlerin studierte Ende der Fünfzigerjahre an der Akademie der bildenden Künste, Monsignore Otto Mauer schrieb über ihren gemalten „Bewegungszyklus“ seinen letzten Text. Heuermann erlebte den ersten feministischen Aufbruch in Wien mit und auch die ersten Möglichkeiten für Künstlerinnen in Museen oder am Kunstmarkt Fuß zu fassen, gehört also zu den Pionierinnen dieser wichtigen Phase, auch wenn sie sich keiner Gruppierung nach der Arenabewegung mehr anschloss.

Die Öffnung in die neuen Medien Fotografie nützte sie auch für die Dokumentation ihrer zahlreichen Workshops an Universitäten international – in ganz Europa, immer wieder der Türkei und nun auch schon mehrmals im fernen Osten. Nach Japan führte sie auch ein Staatstipendium des Bundes.
Es ist Heuermanns Überzeugung, dass die Zukunft der Kunst in Asien liegt, dies lässt sie auch gegenüber typisch westlichen Strömungen auf Distanz treten. Das Reisen, für die jungen Künstlerinnen sozusagen unerlässliches Konzept, ist auch für sie von Anfang an nicht wegzudenken. Deshalb sind gerade die ersten performativen Aktivitäten der internationalen Aktionskunst, die japanische Gutai-Gruppe, für ihre synästhetischen Arbeiten mit von Bedeutung.
(Brigitte Borchhardt-Birbaumer)

www.loreheuermann.at

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